von Auffenberg
Vier
Sonette nach einer wahren Begebenheit
1798 – 1857
I.
Recht guten Abend, liebliche
Jeannette!
Ich helfe Dir, die Blumen zu
begießen,
Und sollte es die Mutter auch
verdrießen.
O, fänd’ ich eine mag’sche
Blüthenkette,
Dich festzubinden an der
grünen Stätte,
Wo murmelnd silberklare
Bächlein fließen
Und mich die Nachtigallentöne
grüßen,
Mit meinem Liebchen singend um
die Wette!
Wie sich die Rose sehnt nach
deinem Busen!
Sie möchte ungern anderswo
verwelken.
Hier! siehst du? – will ihr
zarter Stengel fußen;
Auch wünschen diese prächt’gen
Feuernelken
Zu krönen dich! du
Lieblingskind der Musen!
Venus belauscht den Kuß hinter
Gewölken!
II.
Jeannettens Fenster finde ich
verschlossen
Und einen neid’schen Vorhang
vorgezogen!
Bleibt mir das Schicksal
ferner nicht gewogen,
Weil ich des ersten Kusses
Glück genossen?
Mir scheint, er hat die Mutter
sehr verdrossen.
Am Vorhang seh’ ich ein
geheimes Wogen –
Da kommt ein Blumenstrauß
herabgeflogen!
Zwei Aeuglein seh’ ich, draus
viel Thränen flossen!
Jeannette hat den Selam mir
gebunden,
Das Birkenblättchen d’rin
scheint mir zu sagen:
„Ich bin gehorsam Dir in allen
Stunden!“
Doch soll ich eine zweite
Deutung wagen,
So könnte dieses Blättchen
auch bekunden,
Was nach dem Kuß sich oben
zugetragen.
III.
Noch einmal durfte in
verschwieg’ner Laube
Das holde Götterkind ich
heimlich sehen.
Erbebend vor der strengen
Mutter Schmähen –
(Sie lauschte bei dem süßen
Kussesraube)
Lag an dem Herzen mir die arme
Taube.
Was um der Liebe willen ihr
geschehen.
Erröthend mußte sie mir
eingestehen,
Und – solchen Stürmen ließ ich
sie zum Raube?
Ich trag’ mein Mädchen auf den
Armen fort,
Trotz allen Müttern in den
Erdenreichen!
Den aufgedrung’nen Freier
schreckt mein Wort,
Vor meinem Degen soll der Geck
erbleichen.
Ich zitt’re nicht, müßt’ ich
durch einen Mord
Der jungen Liebe Paradies
erreichen!
IV.
Ein ganzer Postzug hält vor
meiner Thüre.
Zu Haus! Welch’ freud’ger
Schreck wird mir bereitet!
Ein feines Herrchen mir
entgegenschreitet,
Das ich verwundert – in mein
Zimmer führe.
„Herr Eduard N...! Sie haben nummer viere.
Sie werden von der ganzen
Stadt beneidet!
Sie sehen, daß ich festlich
bin gekleidet!
Ich bring’ das große Loos und
gratuliere!“
Es war mein Nebenbuhler, der
Commis,
Ich sank fast um in Jubel und
in Wonne.
Dann sprach ich: „Herr, ich
danke für die Müh’-
O lassen Sie im Wagen die
Goldtonne!“
Vierspänig fuhr ich zum
Jeannettchen. Sieh’!
Mama sprach „Ja!“ vor
Untergang der Sonne. -
von Auffenberg
1798 – 1857 Noch
seh’ ich sie empor am kreuze blicken,
Und mühvoll an den blutgen
Stamm sich lehnen,
In Leidenglut versiegten ihre
Thränen,
Und Riesenlasten sind es, die
sie drücken.
Der Heiland stirbt, die
Menschen zu beglücken,
Im Opfertod sein Tagewerk zu
krönen,
Die Sünder mit dem Himmel zu
versöhnen,
Und neu des Vaters Paradies zu
schmücken.
Da fällt von Golgatha sein
brechend Auge
Mit ewger Liebe ungetrübten
Strahlen,
Noch auf die Mutter, kurz vorm
letzten hauche.
Sie leert die letzte ihrer
Schmerzenschalen,
Die Sonne droht verhüllt von
Dampf und Rauche,
Jerusalem ahnt schon die künft’gen
Qualen.